Jasmin K. Minou, Absolventin der LIK Masterclass künstlerische Fotografie über die Fotografie.
Ich und die Fotografie
Die Fotografie ist bei mir, wie bei vielen anderen auch, eine ständige Begleiterin gewesen. In manchen Phasen meines Lebens unverzichtbar, in anderen weniger präsent. Wenn ich zurückdenke an meine Kindheit dann erinnere ich mich an den Geruch von Leinöl und Terpentin, ich sehe hunderte ausgewaschene Marmeladegläser gefüllt mit den kraftvollsten Pigmentfarben, unbehandelte Leinwände in riesigen Rollen, unzählige Zeichenblätter in allen Größen und verschiedensten Weiß- & Gelbtönen bis hin zu braunem Packpapier. Ich sehe noch mehr Glasfässchen, in denen sich Pinsel: von ganz schmal und zart bis zu breit und borstig. Dann gibt es Kohle zum Zeichnen, Ölkreide, Pastellkreiden, Blei- und Buntstifte bis hin zu einem Airbrushgerät, alles inmitten von Staffeleien. Das Atelier eines Künstlers, meines Vaters, der bis heute seine eigenen Leinwände bespannt und grundiert, Farben abmischt, eine Drucktechnik erfunden hat und der einer traditionellen Technik, der Ölmalerei, treu geblieben ist. Zu Zwecken des Studiums (vor allem für die naturalistische Malerei) gab es da eine kleine, unscheinbare Helferin, die das zu malende Objekt 1:1 in Windeseile wiedergegeben hat, die Kamera! Der eingefrorene Moment, für die Ewigkeit auf Fotopapier gebannt. Keine große Kunst, ein kurzer Blick, ein schneller Klick und dann ab zur Entwicklung. Mein Vater hatte sich auch eine kleine Dunkelkammer eingerichtet und darin gearbeitet und experimentiert. Wer sich nun der romantischen Vorstellung des kleinen Mädchens, das mit großen Augen auf eine mit Flüssigkeit gefüllten Wanne starrt und ehrfürchtig der magischen Verwandlung des darin liegenden weißen Papiers in ein Fotos hingibt, tja..die muss ich leider enttäuschen: ich kann mich noch nicht einmal daran erinnern, ob ich bei der Entwicklung jemals anwesend war.
Ich kann mich aber daran erinnern, dass ich die Kamera (damals natürlich noch analog) benutzen durfte. Ich habe sie mit an „unseren“ altbekannten, kleinen Stausee genommen und ein wunderbar kitschiges Foto eines Schwans gemacht. Ein sonst für das Auge selten sichtbarer roter (ja, rot!) Sonnenstrahl hat die unspektakuläre Abbildung in ein kleines Kunstwerk verwandelt: dieser Moment so wie er da einfangen war, würde nie wiederkehren und das machte diese Fotografie einzigartig. Die begeisterte Anerkennung des Künstlervaters für mein bescheidenes Bildchen waren ein extra Bonus, aber die eigentliche Faszination war die Möglichkeit mittels Fotografie die Zeit anzuhalten und eine Erinnerung und sogar ein Gefühl einzufangen. Hätte ich diesen Schwan damals nicht fotografiert, ich würde heute nicht mehr an diesen Stausee, an dem ich viele Tage meiner Kindheit verbracht habe und der mittlerweile zugeschüttet wurde, denken. Ich habe das Foto leider verloren. Vermutlich bei einem meiner unzähligen Umzüge im Lauf meines Lebens: aber vor meinem inneren Auge sehe ich das Bild ganz deutlich vor mir. Das war der Anfang einer Beziehung, Hobby, Leidenschaft und Mittel zur Kommunikation.
Ich habe also seit meiner Kindheit fotografiert und wer jetzt denkt, dass ich in jungen Jahren verbissen an Technik, der perfekten Einstellung und Lichtsetzung gearbeitet habe, auch die muss ich enttäuschen: ich war weder die leidenschaftliche Jungfotografin, die sich die Nächte in der Dunkelkammer um die Ohren geschlagen hat auf der Suche nach dem perfekten Foto noch war ich eine Art kleines Mozart- Wunderkind der Fotografie: ich habe jahrzehntelang kleine, unscheinbare Momente meines Lebens, meist mir wichtige Menschen in meinem Umfeld schnappschussartig fotografiert. Lediglich auf meinen Reisen habe ich (intuitiv) mehr auf Bildausschnitt und Komposition geachtet, mehr aber auch nicht. Ich habe bis knapp ins Millennium hinein analog fotografiert, u.a. auch mit einer Polaroid Kamera, die ich mit ca. 10 Jahren zum Geburtstag geschenkt bekommen habe (ja..diese Fotos hätten heute in der Kunstszene am ehesten gute Chancen gehabt: des „Lomography“-Stils und des Nostalgiebonus´ wegen aber auch hier sind die meisten leider auf der Strecke geblieben und die wenigen, die überlebt haben darf ich vermutlich wegen des neuen Datenschutzgesetztes nicht herzeigen).
Und wie und wann kam der Wandel?
Ein wichtiges Erlebnis war das „Erbe“ meiner letzten analogen Kamera: Frankreich 2001. Ich wusste zwar schon länger, dass meine Kamera langsam den Geist aufgibt (ganz deutliche, blauweiß leuchtende Vignetten auf jedem Foto waren unerfreuliche Vorboten ihres schlechten Zustandes) ich habe aber meine unverzichtbare Begleiterin zwecks Dokumentation trotzdem uneingeschränkt eingesetzt. Was ich dann von der Entwicklung des hiesigen DM- Entwicklungslabors abgeholt habe (ich erinnere: im Gegensatz zu der weitverbreiteten, romantischen Vorstellung von der selfmade- Dunkelkammerentwicklung für hohe Ansprüche war ich praktisch veranlagt: schnell und zuverlässig wollte ich meine Erinnerungsschätze in Händen halten und da es sich nicht um Kunstwerke handelte war mir die Qualität der Ausarbeitung nicht so wichtig)- ich hole also meine Fotopäckchen ab und was sehe ich da? Meine ersten Doppelbelichtungen! Da waren plötzlich „home Partys“ auf dem Kopf stehend in der unberührten bretonischen Landschaft platziert, Portraits in Gebäude gebettet, Familienmitglieder auf französische Wahrzeichen gestempelt: so als wären sie alle überall dabei gewesen! Was mich noch mehr fasziniert hat als dieser rührseliger Gedanke war das unerklärliche Chaos: man hat auf einem Bild mehrere Eindrücke/Geschichten, die scheinbar miteinander gar nichts zu tun haben. Nur für mich ergeben sie einen Sinn: ich könnte mein Innenleben, meine Eindrücke und Erfahrungen nicht besser widergeben als mit einer Mehrfachbelichtung.
Meine Wahrnehmung ist eine sehr selektive, mein Erinnerungsvermögen unzuverlässig: so in etwa wie diese Frankreich Doppelbelichtungen aussehen, sieht es in meiner Erinnerung aus: vage, flüchtige Momente..ja diese Menschen gab es zu dieser Zeit in meinem Leben und ja..stimmt..an diesen Orten bin ich auch gewesen... das hätte ich fast vergessen...
Es hat noch über ein Jahrzehnt gedauert, bis ich mich schließlich im professionellem Sinne der Fotografie gewidmet habe. Dazwischen bin ich ausgewandert, war selbstständig, bin herumgeflogen, etliche Male umgezogen. Bevor ich schließlich wieder in meine Heimatstadt Wien zurückgekehrt bin und da die Ausbildung zur diplomierten Berufsfotografin sowie die künstlerische Masterclass gemacht habe, habe ich mir das meiste aus Fotofachzeitschriften und mit Übung selbst beigebracht. Meine Schwester hat 2006 eine semi-professionelle Digitalkamera geschenkt bekommen, die sie regelmäßig benutzt hat. Meine Schwester hat zwar später als ich zu fotografieren begonnen, hatte aber als Grafikerin einen viel professionelleren Zugang zur Fotografie als ich: ihre Bilder haben mich dann inspiriert, mich ernsthafter mit diesem Medium auseinanderzusetzen. Auch ich habe mir dann endlich eine digitale Spiegelreflexkamera gekauft. Ein paar Jahre sind uns in der Wahlheimat Teneriffa geblieben, in denen wir hin und wieder gemeinsam fotografiert und dann unsere Bilder analysiert haben. Ich habe meine Schwester leider verloren und möchte zu diesem Thema auch nicht mehr sagen. Heute fotografiere ich mit ihrer Nikon D700, ihrer letzten Kamera. Ich mache keine Schnappschüsse mehr (zumindest nicht unbedacht) und Menschen fotografiere ich fast nur noch, wenn es sich um eine Art „Auftrag“ handelt oder ich etwas dabei lernen kann. Die rührselige, romantische Vorstellung von der Fotografie als Archivistin unvergesslicher Momente ist einer ernstzunehmenden Ausdrucksform gewichen. Meine Eindrücke, Gefühle und Gedanken verpacke ich am liebsten in Bilder und weil ich immer noch ein praktisch veranlagter Mensch bin, der das gerne direkt und ohne Umschweife tut, habe ich mich der Fotografie verschrieben. Um ein Beispiel zu nennen: wenn ich an das Thema „urban disorder“ denke, dann schnappe ich mir meine Nikon und gehe auf eine Baustelle, ziehe durch die Stadt- ich habe nicht die Geduld und Muße mich hinzusetzen und mir eine bildnerische Interpretation zu dem Thema zu überlegen, Skizzen anzufertigen und dann den Entwurf zu zeichnen oder malen. Ich verlasse mich außerdem nach wie vor gerne auf den Zufall, auf die Intuition: die besten Ergebnisse habe ich während verschiedenster Experimente mit Einstellungen, präparierten Filtern und der „Neugier auf das Ungewisse“ erzielt. Die Technik, die ich verwende hängt sehr stark vom Thema und von dem Motiv ab, das ich umsetzen bzw. ablichten möchte. Die Mehrfachbelichtung ist nach wie vor einer meiner Favoriten, weil sie das chaotische, unüberschaubare am treffendsten darstellen kann. Warum will ich überhaupt Chaos darstellen? Weil ich das Gefühl habe, ständig von Chaos umgeben zu sein. Großstadtchaos, Umweltchaos, Polit-Chaos, Gefühlschaos..
Meine Mehrfachbelichtungen entstehen immer direkt in der Kamera. Das bedeutet einerseits, dass ich an den Ort und dessen Gegebenheiten gebunden bin und anderseits, dass mir wenig Zeit und Blick für die Komposition bleibt: kurzum: ich muss mit dem was ich habe arbeiten und zwar schnell und konzentriert.
Oft ist das mehr, als wir denken: man stelle sich aufrecht hin, drehe sich langsam im Kreis, schaut nach oben, schaut nach unten: wie viele verschiedene Bilder sind in dieser kleinen Übung enthalten? Und dabei haben wir uns noch nicht einmal fortbewegt.
Was die Komposition betrifft: bevor ich fotografiere, versuche ich meine Umgebung zu „scannen“ und arrangiere vor meinem inneren Auge Bildausschnitte, die mir interessant scheinen. Der Prozess des Fotografierens ist dann fast schon automatisch: ich weiß schon vorher in welche Richtung ich mich drehen muss, wie ich die Kamera halten muss, ich achte auf die Lichtsituation (eine Wolke ist heller als ein Baumstamm..so logisch das auch klingt- man vergisst es!)
Ich möchte gar nicht daran denken, was alles mit Mehrfachbelichtungen und Photoshop möglich wäre aber in meinem Fall möchte ich die Zeit im Freien mit meiner Kamera nicht missen. Ich glaube, ich würde in Photoshop dann auch viel zu viel manipulieren- der perfekten, ausgewogenen Bildkomposition wegen. Viele meiner Motive würden dann viel weniger willkürlich platziert wirken und das würde sowohl die Bildwirkung schmälern als auch die Aussage, die dahinter steckt.
Ich setze mir bewusst Grenzen, was die Möglichkeiten betrifft und arbeite dann mit den verfügbaren Mitteln frei nach dem Motto : Armut macht erfinderisch! (und das tut sie wirklich! Denkt an die vielen Fotografinnen, die das teuerste, beste Equipment horten und dann schon soviel haben, dass sie gar nicht mehr wissen, womit sie eigentlich arbeiten sollen)
Einer der Gründe, warum ich experimentiere und nicht jedes Foto im vorhinein durchdacht und bis ins kleinste Detail geplant ist, ist die Schönheit, die in der Imperfektion, der Unvollkommenheit liegt. Wenn ich ein Foto planen würde, dann höchstwahrscheinlich mit dem Anspruch, es so „perfekt wie möglich“ abzubilden, technisch und bildnerisch.
Ich bin froh, in der Fotografie einen Bereich gefunden zu haben, in dem Perfektionismus nicht unbedingt erstrebenswert ist: für mich zählen das Ergebnis und die Gefühle, die es auslöst.